Warum wir Begriffe wie “Female Fronted Metal” offenbar noch brauchen

Ich muss zugeben, der Begriff „Female Fronted Metal Band“ fühlt sich auch für mich seltsam an. Er ist etwas plump, aber ich denke, er kann ein wichtiger Türöffner sein – für Frauen, die sich im Metal einbringen wollen – und halte euch deswegen dazu an, ihm keinen negativen Ruf anzuhaften. Der Begriff sagt nichts über Musikstil oder die Skills der Sängerin oder der Band aus. Er gibt nur zusätzliche Information darüber, dass an der Bühnen-Front eine Frau steht. Der Begriff ist vielleicht nicht die eleganteste Art Feminismus zu propagieren, aber eine Chance systemische Änderung herbeizuführen, wenn ihr es nicht vermasselt. Also mein Aufruf: Nutzt ihn gut oder gar nicht.


Muss das denn wirklich sein?

Ein eigener Ausdruck für Bands die weibliche Frontsinger haben? Ist doch nur ein Werbegag, a la „sex sells“? Nein, in dem Fall ist es „gender sells“!
In Wirklichkeit beschwert sich selten jemand darüber, dass Floor Jansen in kurzem Kleid mit tiefem Ausschnitt auf der Bühne performt. Das wäre aber „sex sells“. Damit darf man als Frau in dieser Gesellschaft auch gerne an Aufmerksamkeit kommen. Sobald es aber um ihr Gender geht, gibt einen riesen Aufstand, warum?

Verdiene ich Aufmerksamkeit, nur weil ich eine Frau bin?

„Es geht doch um die Musik der Band, und nicht um das Geschlecht der Sängerin und überhaupt sind alle Mitglieder der Band gleich wichtig“. Richtig? Besonders Männer, die pro Gleichberechtigung sind, frönen diesem feministisch anmutenden Argument, dass es nicht um das Geschlecht geht, sondern um die Musik und Gleichberechtigung ist ja damit sowieso schon gegeben. Klingt vernünftig, oder? – Das ist ein Trugschluss!


Männerdomäne

Fakt ist, Metal ist eine Männerdomäne. Es gibt weniger Sängerinnen im Metal und im speziellen wenig solche, die screamen. Das zu ignorieren und so zu tun als wär es Zufall, ist genauso ein diskriminierender Akt, wie Frauen aktiv auszuschließen. Somit gibt es sehr wohl einen Bedarf für Marketingbegriffe wie „Female Fronted Metal Bands“.
Ich hoffe, und wünsche, allen Frontsängerinnen, dass sie sich in der Band gleichberechtigt und vom (männlichen) Publikum respektvoll behandelt fühlen. Das spricht für die Community. Aber es geht nicht nur um die Frauen, die es schon geschafft haben; unter anderem geht es darum, das Bild, dass das Genre in der Gesellschaft hat, zu verändern. Nämlich, dass es ein männlicher Musik-Stil ist. Und es ist Zeit, ihn für mehr Künstlerinnen und weibliches Publikum öffnet.

Allein die Wut darüber, dass der Begriff überhaupt existiert, zeigt auf, dass es ein eindeutiges Akzeptanz-Problem gibt.

Die Reaktivität der Szene auf den Begriff „Female Fronted“ zeigt deutlich auf, dass er einen wunden Punkt trifft.
Traurig ist, dass die Diskussion darüber wie sinnlos der Begriff ist, dazu führt, dass er abfällig verwendet wird und damit zu einem Verfall der allgemeinen Wertigkeit von Female Frontsingers im Kulturgedächtnis führt. Das ist an sich schon eine eigene Instanz von Sexismus, die die Musik dieser Bands weniger wertig erscheinen lässt. Als ich letztens ein Konzert besuchte, hörte ich eine Gruppe von Männer abfällig über den Begriff scherzen. Wenn die Abfälligkeit erst einmal etabliert ist, ist es egal, welche noch so gleichberechtigten Argumente dahinterstanden, er wird immer einen eigenartigen Beigeschmack haben.
Das ist wie hegemoniale Konditionierung funktioniert, sie erhält sich selbst, indem sie die Opfer dazu ermutigt, selbst zu entscheiden Opfer zu bleiben. Und sie führt dazu, dass Metal eine Männerdomäne bleibt. Ich sehe, dass viele in der Szene den Begriff aus positiven Beweggründen ablehnen, nämlich genau deswegen, weil sie befürchten, die Seriosität leidet unter dem Begriff. Es ist aber wichtig, zu wissen, dass ihr entscheidet ob es wünschenswertes ist, eine Female Fronted Band zu sehen und Frauen dabei zu unterstützen diesen Weg zu gehen, oder ob es schief von der Seite angesehen wird.

 

Nur ein Werbetrend?

Ich finde, den Begriff als feministisches Mittel sinnvoll, denn weibliche Frontsinger im Metal sind rar, und das bedeutet, da ist doch offensichtlich noch Aufholarbeit zu leisten?

Dass Sängerinnen diskriminiert werden, weil sie durch ihr Geschlecht ausgestellt werden, ist auch sehr kurzsichtig betrachtet. Klar, wir wollen ja genauso ernstgenommen werden wie männliche Sänger und nicht nur

Anni von Thus I End screamt für ihr Publikum auf der Bühne der Arena Wien (c) Peter Gordebeke

wegen unseres Geschlechts Aufmerksamkeit bekommen. Aber Fakt ist doch, keine Band wird berühmt, ohne die musikalischen Professionalität mitzubringen. Die Angst davor inkompetent zu sein, wurde uns tief ins Gehirn eingeimpft. Hätte ein Mann ein Alleinstellungsmerkmal in seinem Wesen oder Aussehen, würde er es sofort zu seinem Vorteil nutzen und wäre damit ein vorbildlicher Geschäftsmann. Aber Frauen „nutzen ihre Reize aus, weil sie sonst nichts können“. Also sich selbst promoten ist „ok“, aber die Mittel werden beschränkt.

 

Traditionen aufbrechen

Weibliche Vocalists im Metal verändern die Art wie wir die Welt sehen. Es geht in der Debatte nicht um ihre sexuellen Merkmale oder ihr Aussehen, sondern nur darum, dass sie den Markt aufmischen, weil sie so selten sind wie ein bunter Hund. Deswegen geht es auch nicht nur um die schon etablierten Metalsängerinnen, sondern um die folgende Generation. Und dafür ist der Begriff ein wertvoller Wegbereiter. Er zeigt, dass es Menschen gibt, die sich wünschen, dass mehr Frauen in Metalbands singen und “schafft damit Jobs”.
Ich arbeite in meinen Stimmbildungsstunden 80% der Zeit daran, Frauen zu helfen in einer entspannten, natürlichen Sprechstimmlage zu sprechen. Jeder Mensch spricht eigentlich im unteren Drittel seiner Range, die meisten Frauen liegen weit darüber und es braucht eine Weile bis ihre Stimmlippen so trainiert sind, dass sie eine entspannte, volle Stimme überhaupt erreichen. Wenn der Weg zu einer normalen Bruststimme schon so schwer ist, wie ist es dann mit dem Screamen?
Neue Frauenbilder gehören in unsere Kultur, unter anderen die der Frontsängerin einer Metalbands. Das passiert nur langsam, da unsere kulturelle Identität nur eine gewisse Menge neuer Informationen erträgt, bis sich der Teil von uns, der unser Weltbild aufrechterhält, dagegen wehrt.
Das heißt man muss sie langsam anfüttern und sacken lassen. Eben mit Begriffen die eindeutig und leicht zu verdauen sind, wie zum Beispiel „Female Fronted“ Metal Bands.

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