Die moderne Forschung ist sich nicht einig, Klassiker schwören darauf. Es gibt so viele verschiedene Theorien zum Aufwärmen der Gesangsstimme, wie es Gesangsschulen gibt. Nicht nur wie am besten und wie lang, sondern auch ob Aufwärmen überhaupt eine sinnvolle Tätigkeit ist.
Ich bin Nives Farrier, Vocal Coach und Mentaltrainerin und ich stelle dir heute einige Perspektiven auf das Thema und einige Tipps vor.
Der Kehlkopf ist ein relativ kleiner Apparat in deinem Hals, der relativ viel Leistung vollbringt an einem Tag. Ausgelegt ist er für 4 Stunden sprechen täglich, danach braucht er extra Zuwendung.
„Du musst dich nicht aufwärmen, im Hals ist es doch schon warm“.
Viele Gesangslehrer meinen, dass es da nichts zum Aufwärmen gibt, und man fragt sich, ob man wirklich 15-30 Minuten dieses gesunden 4-Stunden-Pensums für LipRolls und Tonleitern aufbrauchen möchte. Viele SängerInnen meinen aber, den Effekt ganz stark zu spüren und um einiges besser zu singen, wenn sie „aufgewärmt“ sind. Was also wissen wir über diese Vorbereitungszeit?
Muskeltraining wie beim Sport?
Die Stimmlippen enthalten einen Muskel, und auch der Mund- und Rachenraum besteht aus Muskeln die relativ detailiert trainiert werden können. Wir alle wissen, wie es sich anfühlt, wenn man aus dem Bett aufsteht und direkt joggen geht. Das kann schon mal recht anstrengend werden. Nach einer Weile, wenn die Muskeln „warm“ sind, ist alles leichter. Das heisst aber nicht, dass wir eine halbe Stunde vor dem Joggen anfangen Squats zu machen, um die Beine aufzuwärmen. Ähnlich ist es auch beim Singen. Allerdings reicht beim Stimmmuskel auch schon das tägliche sprechen und singen als Aufwärmprogramm. Jessie J, Songwriterin und einer der flexibelsten Vokalistinnen der Welt wärmt beispielsweise nicht auf, sie baut ihre Show einfach so auf, so dass die ersten Songs ihr Aufwärm-Programm sind.
Aufwärmen für den Mentalen Fokus und Gesangs-Übungen
Ein Einsingen am Anfang jeder Gesangs-Session dient als Abgrenzung zwischen dem Alltag und der Kunst und ist somit ein mentaler Separator. Hier ist Aufwärmen eine Art Einstimmungs-Ritual für die Gesangssession bei der Kopf und Körper in Einklang gebracht werden. Wir erinnern uns dabei auch wieder wie weit unser Mund wirklich aufgeht und die kleinen, faulen Muskeln, um die Lippen könnten auch wieder etwas mehr arbeiten. Das ist besonders wichtig für Menschen, die nicht schon komplett unbewusst perfekt singen können, sondern sich erstmal der beteiligten Körperteile bewusst werden müssen. In diesem Fall ist das Aufwärmen eigentlich eher eine schnelle Art der Gesangsübung, um wieder alles in Reih und Glied zu bringen. Das ist schön, ich möchte aber betonen, dass das nicht als Gesangsübungen reicht und du diese gern öfter und zum Selbstzweck durchführen kannst 😉
Fazit
So wie man jeden morgen am besten aufsteht und sich leicht sportlich betätigt und dehnt, kann es sinnvoll sein sich einzusingen. Früh morgens, bei besonders schweren Passagen, oder wenn man will, dass es gleich von anfang an gut flutscht und sich gut anfühlt, kann man noch eins nachlegen und mehrere Übungen zum Einsingen machen. Aufwärmen ist das aber keines, sondern eher ein Einsingen, sich spüren und re-fokussieren. Singen, wie Sprechen rädert sich nie ein und muss immer wieder nachjustiert werden. Das kann mit dem Einsingen verbessert werden, wird aber am besten auch so in regelmässigen Abständen geübt. Kontraproduktiv wird es dann, wenn du dich schon beim Einsingen verausgabst und zu lang machst. Grundsätzlich würde ich eher zu regelmässigen Übungseinheiten für bestimmte im Gesang involvierte Muskeln appellieren: Du kannst deine Lippen, Zunge, Mundöffnung, Kehlkopf, Wangen und Gaumen, Stimmlippen, Mimik, Zwischenrippen-Rücken und Bauchmuskulatur mit spezifischen Übungen fürs Singen trainieren und diese dann beim Einsingen zur Hilfe nehmen.
Einige davon teile ich hin und wieder auf meiner Instagram-Page.